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WOLFGANG BETKE: DER GLANZ DER STUMMEN SPRACHE

opening reception for the artist: November 7, 2013, 6 - 9 pm
exhibition: November 8 – December 7, 2013






Malerei ist zuerst Leidenschaft und Liebe und Aggression und Zärtlichkeit und Malerei kommt zuallererst aus dem Leib. Leib umfaßt unseren Körper und unser Denken, Leib beinhaltet also nicht nur unsere emotionalen Sensorien, sondern auch unseren Intellekt, unser analytisches Begreifen der Welt und auch Dinge wie unsere politischen Haltungen. Unser Leib ist die wichtigste Grundlage für Malerei, denn er verkörpert, was uns allen gemeinsam ist und was die Basis jeder Kunst wie jeder Arbeit darstellt.
Indem ich ohne Anfangsidee oder Plan, also mit vollkommen freiem Kopf ein Bild beginne, möchte ich an die innersten leiblichen Codes in mir gelangen, die historisch-sozial definiert, mich und mein Verhalten bestimmen. Unsere Ratio ist nur zum Teil für unser Handeln verantwortlich, es gibt tieferliegende Schichten, die von dem was wir erfahren, programmiert werden. An diese Codes will ich ran mit meiner Methode. Denn diese Codierungen können nicht lügen, das ist unsere Wahrheit, da gibt es keine Lippenbekenntnisse und keine Derivate.

Ich fange bei jedem Bild von Null an. Das einzige woran ich denke am Anfang ist eine Farbe oder ein Farbklang. Alles weitere macht der Prozess selber. Es geht automatisch weiter in einem Zustand der unbewußten Luzidität. An irgendeiner Stelle schiebt sich dann plötzlich etwas Figurales ins Bild, ein Gegenstand taucht auf, ohne daß ich es wollte. Das heißt, ich komme induktiv zu meinen Inhalten, nicht deduktiv. Und irgendwann bekommt das Bild diesen magischen Moment, es beginnt ein Eigenleben. Dann liegt es an mir, ob ich in der Lage bin, dieses Eigenleben zu respektieren und es also zu bestärken oder es wieder zu versauen. An diesem Punkt habe ich den Automatismus des Anfangs schon ein bißchen verlassen und eine tastende Kontrolle des Bildgeschehens setzt ein. Meine Methode könnte man also mit Max Ernst als halbautomatisch bezeichnen.
Die vielen Schichten in meinen Bildern sind für mich geschichtete Zeit, man kann sie als Tresore gelebter Zeit ansehen. Darin ist ein Teil meines Lebens, meine Energie und meine Handlungen eingeschlossen. Wenn ich nun hingehe und diese Schichten mit dem Schleifapparat wieder aufbreche, dann gehe ich buchstäblich in meiner eigenen Lebenszeit zurück. Ich grabe die Schichten an und stoße auf vergangene Lebensebenen. Dann betreibe ich im Prinzip Archäologie, ich bin dann soetwas wie der Archäologe meiner eigenen Geschichte.

Ein wichtiges Thema bei mir ist die Auflösung, Auflösung von Figur und Bildträger. Mein Abschleifen der Figur und der Leinwand attackiert beide und löst sie real auf, anstatt dies nur zu illustrieren. Illusionismus und Tatsächlichkeit sind also bei mir gleichzeitig am Werk. Alle meine technischen Mittel in ihrer formalen Spur tragen zur Bedeutung des Objektes bei, nicht nur der sagbare Inhalt, ich nenne das die Verkörperung von Bedeutung.
Es geht immer um den Zustand des Menschen jetzt. Das kann ich nicht ohne das Kaputte, ohne Destruktion, d.h. Zerstörung und Aufbau, Konstruktion und Dekonstruktion gehören dazu. Denn der Mensch ist keine intakte Einheit. Er definiert sich aus Brüchen, Überlagerungen, Übercodierungen, Widersprüchen, die unkommentiert nebeneinanderstehen. Über die rationale Analyse alleine wird das nicht wirklich deutlich. Malerei muß und kann diese Erkenntnisse unterstützen als ein leibliches Medium, das den Menschen naherückt und spüren läßt, was los ist und somit die Kenntnisse und Erkenntnisse in Erfahrungen verwandelt.
Die Konfrontation mit dem Körperlichen der Malerei, mit starken stofflichen Präsenzen, darum geht es für mich in der Malerei. Sie ist auch deshalb so wichtig, weil vieles in der sonstigen Kunstpraxis so analytisch daherkommt. Malerei wirkt in diesen Kontexten wie ein notwendiges Korrektiv und eine Ergänzung.

Ich male, weil ich nicht mehr so dumm sein wollte wie ein Konzeptkünstler. Ich wollte weg von der Vorherrschaft der Information und hin zu einem Medium, das sich selbst vergessen kann und selber anfängt zu sprechen. Erst wenn das Medium aufhört zu informieren, also das eine mit dem anderen zu sagen und anfängt, selber zu sprechen, sich selbst auszudrücken, dann hat das Ereignis etwas mit Kunst zu tun. Nun ist dies aber im Wortsinn kein eigentliches Sprechen, sondern es geht um eine stumme Sprache der Präsenz. Eine stumme Sprache der Setzung. Eine stumme Sprache.

Wolfgang Betke